Ist Thrombose-Prophylaxe sinnvoll?

Als ich an diesem Freitag vor vier Jahren morgens aufgewacht bin, wusste ich sofort, dass etwas nicht stimmt. Mein Arm fühlte sich komisch an, nicht eingeschlafen, anders, eher … „gestaut“? Weder Arm noch Finger waren geschwollen. Aber ich hatte Schmerzen, vor allem, wenn ich versuchte, den Arm zu heben, was mir nur bis zu einem gewissen Punkt gelang. Die Beschwerden wurden auch nach dem Aufstehen nicht besser – wenn man sich verlegen hat oder der Arm eingeschlafen ist, ist das Gefühl spätestens nach dem ersten Kaffee weg. Ich beschloss deshalb sicherheitshalber vor der Arbeit und dem Wochenende, noch bei meiner damaligen Hausärztin vorbeizuschauen.

Sie vermutete, dass die Beschwerden mit einem Sturz bei Glatteis eine Woche zuvor zu tun hatten, und stellte mir eine Überweisung für ein MRT des Schultergelenks aus. Mir kam das komisch vor, ich hatte nach dem Sturz keine Beschwerden gehabt, und fuhr erst mal in die Arbeit. Ein MRT hat Zeit bis Montag, dachte ich. Am Wochenende wurden die Schmerzen schlimmer, sodass ich in die Notaufnahme gegangen bin (wo man mich gleich dabehalten hat).

Vorbote einer Krebserkrankung

Ich hatte eine Thrombose im Arm bzw. es waren gleich drei. Die Blutgerinnsel verstopften drei Venen (axillaris, jugularis, subclavia). Sie waren die ersten Symptome meiner Krebserkrankung. Meine Hausärztin dachte bei ihrer fitten 42-jährigen Patientin weder an eine Armthrombose noch an Lungenkrebs (und ich hatte bis dato ohnehin nur von Thrombosen in den Beinen gehört). Ich hatte Glück, dass sich keines der Gerinnsel gelöst hat und in die Lunge oder ins Gehirn gelangt ist, um dort eine Lungenembolie oder einen Schlaganfall auszulösen. Meine Gerinnsel saßen in den Venen, aber auch Arterien können betroffen sein. Ich nehme seitdem Blutverdünner.

Als Folge meiner Armthrombosen können Kontrastmittel nicht über den linken Arm gegeben werden (die Gerinnsel würden sich wohl nicht mehr lösen, aber das Kontrastmittel könnte sich wahrscheinlich nicht schnell genug verteilen. Denn den Rücktransport des Blutes zum Herzen übernehmen jetzt viele kleine Adern, sogenannte Kollateraladern). Ich habe keinerlei Beschwerden. Nur mein Blut gerinnt eben nicht mehr so schnell. Deshalb gebe ich immer kurz Bescheid, dass ich Blutverdünner nehme, bevor eine Nadel gelegt wird (weil starke Blutung), und Radfahren möglichst mit Helm (Blutverdünner begünstigen Hirnblutungen, falls man unglücklich stürzen sollte).

Hohes Risiko bei Lungenkrebs

Thrombosen sind bei Krebserkrankungen eine gefährliche Komplikation – die häufig vorkommt. Das liegt daran, dass Tumoren und Metastasen in die Gerinnungsbildung eingreifen, quasi ein Nebeneffekt der Krebserkrankung an sich. Dabei schwankt das Risiko zwischen den Krebsarten, ein besonders hohes Risiko haben noch mal Patienten zum Beispiel mit Bauchspeicheldrüsenkrebs, Magenkrebs, Nierenkrebs, Hirntumoren, Lymphomen etc. – und Lungenkrebs. Manche Therapien, etwa eine Cisplatin-Chemotherapie, können das Thromboserisiko ebenfalls erhöhen. Festzuhalten ist: Bösartige Tumoren an sich steigern das Risiko für eine Thrombose in den Venen 4- bis 7-fach im Vergleich zu Patienten ohne Tumorerkrankung.
Innerhalb der Patientengruppe, die an einem nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom erkrankt ist, haben Patienten mit den Treibermutationen ALK und ROS1 noch mal ein erhöhtes Risiko gegenüber den Patienten ohne Treibermutation (circa 2- bis 5-fach). Zu diesen Schlüssen kommt eine umfassende retrospektive Untersuchung von Juli 2020 (Impact of Tumor Genomic Mutations on Thrombotic Risk in Cancer Patients; auch EGFR und KRAS wurde untersucht, die Ergebnisse waren aber widersprüchlich).

Ist eine Primärprophylaxe sinnvoll?

Bei mir wurde damals eine Therapie mit Blutverdünnern eingeleitet, weil ich bereits eine Thrombose hatte (Akuttherapie). Und man hat die Behandlung fortgesetzt, um eine erneute Thrombose unter der Tumortherapie zu verhindern (Sekundär- oder Rezidivprophylaxe). Ich habe erst ein halbes Jahr lang Heparin während der Chemo-Erstlinie subkutan, also unter die Haut, gespritzt, danach wurde ich auf eine Tablettentherapie umgestellt. Für diese “direkten oralen Antikoagulanzien“ (kurz DOAK oder englisch NOAK: new oral anticoagulants) liegen bereits mehrere Studien vor (für meinen Wirkstoff Apixaban siehe Ergebnisse der Caravaggio-Studie).

Wie lautet aber nun die Empfehlung für Patienten, die noch keine Thrombose hatten? Die Antwort lautet: Es gibt keine Empfehlung für eine Primärprophylaxe für Krebspatienten, die ambulant, also nicht im Krankenhaus, behandelt werden. Mit den Blutverdünnern geht nämlich auch ein erhöhtes Risiko für innere Blutungen einher, was allerdings vor allem für Magen- und Darmkrebspatienten problematisch ist. Das Vertrackte an der Situation ist: Auch eine Thromboseprophylaxe bietet keinen 100%igen Schutz. Denn: Neben Patienten, die ohne Blutverdünner eine Thrombose bzw. Embolien entwickeln, gibt es auch Patienten, denen das trotz Blutverdünnner passiert (ggf. ein Warnzeichen). Denn man vermutet, dass das Thromboserisiko vor allem dann steigt, wenn der Tumor aktiv ist. Aber auch daraus lässt sich keine Regel ableiten. Es ist also schwierig, die Patienten auszumachen, die von einem Blutverdünner am ehesten profitieren. Allerdings werfen aktuelle Studien die Frage in den Raum, ob besonders ALK- und ROS1-Patienten nicht doch von einer Primärprophylaxe profitieren könnten. Ohne weitere Studien gilt aber momentan: Nutzen und Risiken müssen individuell im Einzelfall abgewogen werden.

Was können Patienten also tun?

  • Patienten (und Angehörige) müssen wissen, dass es diese gefährliche Komplikation gibt und dass bestimmte Treibermutationen, allen voran ROS1 und ALK, ein besonders hohes Thromboserisiko haben. (siehe auch Pharmazeutische Zeitung: Thromboserisiko bei Krebserkrankten stark erhöht)
  • Patienten (und Angehörige) müssen wissen, welche Symptome bei Arm-, Beinthrombosen oder bei einer Lungenembolie und bei Schlaganfällen auftreten, um ggf. schnell handeln zu können.
  • Patienten (und Angehörige) sollten Radiologen darum bitten, bei Kontroll-CTs das Bildmaterial auch auf Blutgerinnsel hin zu untersuchen. (Wichtig zu wissen: Luftnot kann auch ein Zeichen für viele kleine Lungenembolien sein!)
  • Patienten sollten ihre individuelle Situation, ihre Ängste und Fragen mit ihrem Ärzteteam (Hausarzt, Onkologin, Phlebologe, Kardiologin) besprechen.
  • Wenn absehbar ist, dass Patienten ohne Therapie mit Blutverdünnern längere Zeit in ihrer Bewegung eingeschränkt sind, sollte das Gespräch mit dem Arzt gesucht werden. Etwa im Fall einer Lungenentzündung oder wegen eines verstauchten Knöchels (nach einer Operation wird man automatisch mit Blutverdünnern versorgt). Eventuell kann in solchen Fällen eine niederschwellige Thromboseprophylaxe mit Blutverdünnern angezeigt sein, entweder mit einem niedermolekularen Heparin (NMH) oder mit direkten oralen Antikoagulans (DOAK) wie Edosaban oder Apixaban (Antikoagulantien oder auch Gerinnungshemmer sind Medikamente, die die Blutgerinnung (Hämostase) hemmen).
  • Generell für mehr Bewegung sorgen: Treppensteigen, nach einer Stunde am Schreibtisch eine Bewegungspause einlegen, Venenpumpe aktvieren, auf dem Rücken liegend in der Luft Radfahren. Es gelten die drei großen Ls, also Laufen (nicht stehen), Liegen (nicht sitzen), Lagern (Beine hochlagern).
  • Empfohlen wird auch, ausreichend zu trinken (dabei sind nicht die Liter entscheidend, das ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Tipp: Der Urin sollte nicht dunkelgelb sein, sondern ganz hell – dann hat man genug getrunken).
  • Besondere Vorsicht ist angebracht, wenn man schon eine Thrombose hatte.
  • Es kann sinnvoll sein, bei einer/m Phlebolog*in vorstellig zu werden und die Gefäße überprüfen zu lassen und zu klären, ob ggf. Thrombosestrümpfen einen Benefit bringen könnten.
  • Übergewicht ist ebenfalls ein Risikofaktor für eine Thrombose. Patienten, die zielgerichtet therapiert werden, haben im Gegensatz zu Patienten unter Chemotherapie in der Regel nicht das Problem, dass sie Gewicht verlieren. Die TKIs greifen in den Stoffwechsel ein und sorgen eher für eine Gewichtszunahme. Besonders für ALK-positive oder auch ROS1-Patienten ist das ein Problem durch TKI wie Alectinib bzw. Lorlatinib, das man aber angehen kann (siehe Blog-Artikel zu Alectinib-Nebenwirkungen).


Danke an das CIO Köln für die fachliche Unterstützung.

Zuletzt aktualisiert am 28. März 2023

Sabine Hatzfeld

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