Alectinib-Nebenwirkungen managen

„Das sind auch keine Zuckerpillen“, entgegnete mir ein Arzt in einem Münchner Krankenhaus. Ich hatte mich vor drei Jahren, mitten im Diagnosemarathon, über die Möglichkeiten einer zielgerichteten Therapie erkundigt. Diese Antwort gefiel mir gar nicht. Wie schön war der Gedanke, einfach eine Tablette zu nehmen und weiterzumachen wie gehabt. Ganz so einfach war es dann leider nicht. Auch wenn die Tabletten eine fantastische Errungenschaft sind und man in ganz vielen Fällen gut damit leben kann.

Nebenwirkungen sind nie bei jedem gleich, in manchen Fällen muss man die Dosis reduzieren oder das Medikament absetzen, andere Patienten merken kaum etwas. Viele Nebenwirkungen verschwinden mit der Zeit oder werden besser, weil sich der Körper daran gewöhnt. Manche entwickeln sich erst im Laufe der Therapie. Einige ziehen andere Probleme nach sich. Oder sie sind noch gar nicht erfasst, weil die Medikamente so neu sind.

Ich beschränke mich im Folgenden vor allem auf meine persönlichen Erfahrungen mit dem Medikament Alectinib.

Hinweis: Tipps ersetzen nie ein Gespräch mit eurem behandelnden Arzt und sollten immer auf eure Situation abgestimmt sein!

Magen-Darm-Probleme

Vor allem zu Beginn der Therapie mit Alectinib kommt es häufig zu Magen-Darm-Problemen wie Durchfall, Erbrechen, insbesondere Verstopfung. Ein Lactulose-Sirup bringt bei Verstopfung rasch Hilfe. Langfristig sind natürliche, probiotische Nahrungsmittel besser, also Sauerkrautsaft, Sauerkraut, Kimchi, saure Gurken, Kombucha, Apfelessig, aber auch Kefir, Molke oder Brottrunk. Indischer Flohsamen hilft ebenfalls bei Verstopfung, Durchfall und Reizdarm, sollte aber nicht zusammen mit Medikamenten eingenommen werden (mindestens drei Stunden später, da Wirkstoffe gebunden und somit eingeschränkt werden können). Besonders aufpassen sollte man, wenn man unter Divertikulitis leidet. Unter Alectinib können diese Patienten eine Darmperforation (Darmdurchbruch) entwickeln.

Sodbrennen, Speiseröhrenentzündung und Magenschleimhautentzündung

Entzündungen leuchten im PET-CT, eine Magenspiegelung bringt Klarheit. Oft wird die kurzfristige Einnahme von „Magenschonern/Magenschutzmitteln“ für vier Wochen empfohlen. Diese Säureblocker (wie Omeprazol und Pantoprazol) sollen eine akute Entzündung beseitigen. Das ist kurzfristig natürlich eine Option, das Problem ist aber, dass wir die TKIs lebenslang nehmen. Ich habe das Problem mit folgenden Maßnahmen ohne Säureblocker in den Griff bekommen: Heilerde, Süßholzwurzeltee, Salbeitee, Abendessen mit Tabletten mindestens drei Stunden vor dem Schlafengehen, das Kopfteil des Bettes um 20 cm höher stellen (oder Kissen unter die Matratze stopfen, wenn man keinen verstellbaren Lattenrost hat), Kamillenblütentee aus der Apotheke (nur dieser enthält genügend Schleimstoffe), ein Aufguss aus Goldleinsamen (Schleimstoffe). Weitere Infos zum Thema findet ihr zum Beispiel bei den NDR-Ernährungsdocs. Was mir noch sehr gut geholfen hat, ist Natriumalginat, eine natürliche Substanz, die in Braunalgen vorkommt. Die gelartige Flüssigkeit bildet eine physische Schutzbarriere zwischen Magen und Speiseröhre.

Gewichtszunahme

Das Medikament greift anscheinend in den Stoffwechsel ein, der genaue Mechanismus ist unklar. Ich habe die Gewichtszunahme gestoppt, indem ich weniger bzw. keine einfachen, sondern komplexe Kohlenhydrate zu mir nehme, vor allem abends (keine Nudeln, sondern Kartoffeln). Zusätzlich baue ich Zeitfenster in meinen Tagesablauf ein, in denen ich bis zur nächsten Mahlzeit außer Wasser und ungesüßtem Tee nichts zu mir nehme (auch keinen Kaffee mit Milch am Nachmittag – Milchzucker!). Was mir noch geholfen hat, war leichtes Krafttraining in meiner Physiotherapiepraxis an Geräten. Das steigert nicht nur das Wohlbefinden und die Beweglichkeit, sondern auch den Grundumsatz, abgesehen davon hat man mehr Kraft und baut sie gelenkschonend auf. Das ist wichtig, gerade, wenn man wie ich 20 kg zugenommen hat. Auch ganz banales Beckenbodentraining für ein paar Minuten am Tag zeigt schon Effekte, wenn man es regelmäßig macht (Becken kreisen, Becken kippen). Nutzt dafür Zeitfenster, wo man eigentlich was anderes macht (fernsehen, telefonieren oder warten, bis das Wasser für den Tee kocht und der Tee fertig gezogen hat. In diesen 8 Minuten kann man eh nichts wirklich Sinnvolles machen, dann lieber etwas Gymnastik als Facebook zum x-ten Mal checken, das ist besser investierte Zeit).

Erhöhte Leberwerte

Alectinib kann die Leber schädigen. Vielfach hilft nur eine Dosisreduktion. Gut für die Leber sind Leberwickel oder die Mariendistel. Auch die Artischocke und ihre Inhaltsstoffe Cynarin und Cynaridin sollen die Leber regenerieren. Eine kohlenhydratarme Ernährung und längere Phasen, in denen man keine Kohlenhydrate zu sich nimmt, entlasten ebenfalls die Leber. Die Tipps gleichen denen bei der Nebenwirkung „Gewichtszunahme“. Manche Patienten berichten über erhöhte Blutzuckerwerte, denen man auch mit Nahrungspausen entgegenwirken kann.

Myalgie, Muskelschwäche, Muskelkrämpfe, erhöhter CPK-Wert

Alectinib beeinträchtigt den Bewegungsapparat, vor allem am Anfang der Therapie. Wichtig ist, zu Beginn der Therapie den CPK-Wert zu kontrollieren – das Enzym Creatin-Phosphokenase ist ein Hinweis auf Schädigungen der Muskulatur. Schießt er in die Höhe, muss pausiert bzw. die Dosis reduziert werden. Ich hatte starke Wadenkrämpfe vor allem zu Beginn der Therapie, dazu Muskelschwäche in den Oberschenkeln. Geholfen hat mir: in Bewegung bleiben, Radfahren, Physiotherapie, Magnesium, Rotlicht bei Verspannungen, Arbeit mit der Faszienrolle, Thermalbäder und Wasserdüsen, um verklebte Faszien und verspannte Muskeln zu lösen, und sanftes Dehnen.

Das Übergewicht begünstigt einen Fersensporn und damit eine entzündete Plantar-Sehne/Achillessehne. Hier hilft: Stoßwellen-Therapie, spezielle Fersensporneinlagen, das Rollen über einen Tennis-/Igelball und regelmäßiges, sanftes Dehnen der „hinteren Kette“, vom Fuß bis zum Po entlang.

Lymphödeme

Alectinib stört das lymphatische System und löst Lymphödeme aus, Lymphflüssigkeit wird eingelagert, vor allem an Waden und Knöcheln. Hier hilft Radfahren, schwimmen/Wassergymnastik (Massage-Effekt durch den Wasserdruck); Lymphdrainage kann der Hausarzt, die Onkologin oder auch ein Orthopäde verschreiben. Am besten eine ganze Stunde mit anschließender Bewegungseinheit. Kompressionsstrümpfe verschreibt eine Phlebologin, maßgeschneiderte Strümpfe sind am besten. Die Kosten übernimmt die Krankenkasse. Mit all diesen Maßnahmen habe ich das Problem super in den Griff bekommen. Die Strümpfe trage ich jeden Tag. Sie gibt es in bunten Farben, mit offenen Zehen und wer will auch mit Glitzersteinchen – sie müssen nicht fleischfarben sein, keine Sorge.

Lichtempfindlichkeit

Eine Besonderheit im Nebenwirkungsreigen nimmt Alectinib mit der Lichtempfindlichkeit ein. Manche Patienten bekommen in sehr kurzer Zeit heftigen Sonnenbrand oder die Sonnenstrahlen piksen nach einiger Zeit wie Nadelstiche in der Haut. Deshalb bieten sich im Sommer weite Röcke oder Pluderhosen an, Hut und Sonnenbrille, LSF 50 auftragen und gut ist es.

Polyneuropathie

Kribbeln, Stechen in Fingern und Fußsohlen – ein Problem, das ich von der Chemotherapie her kannte. Hier hilft Bewegung, Finger und Füße durch Rapssamen gleiten lassen (gibt es günstig im Internet; regt die Leitfähigkeit der Nerven an), Igelball kneten bzw. mit dem Fuß darüber rollen; Vitamin-B-6-Komplexe (Tabletten oder Bierhefetrunk); 1 TL Weizenkeimöl pro Tag (Vitamin E ist gut für die Nerven, ÖL ist besser als Nahrungsergänzungsmittel), L-Carnitin (enthalten zum Beispiel in Lammfleisch), Alpha-Liponsäure (enthalten in Leber, Spinat, Brokkoli, Tomaten); das Balancieren auf einer Schüttelplatte soll ebenfalls helfen, die Nerven zu regenerieren (siehe dazu den Vortrag vom CIO Köln “Komplementärmedizin: Grundlagen”).

Der Beitrag wurde aktualisiert am 12. März 2021.

Sabine Hatzfeld

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